2.1.4

Diskursethik — Schnittstelle und Vermittlungshilfe von Gesellschaft und Designer*innen (Diskursethik im Design)

In Kapitel 2.1 wurde dargelegt, dass Design weitgehend Handlungsmöglichkeiten des Menschen entwirft. Also solche Tätigkeit muss Design immer als Aushandlung von Interessen von Designer*innen, Kund*innen und Rezipient*innen gedacht werden (Kapitel 2.2). In Kapitel 2.3 ist wiederum dargestellt, dass die Diskursethik für derartige Anforderungen eine Vielzahl von wichtigen Anhaltspunkten bereithält. In diesem Kapitel wird vermittelt, wie sich diese Anhaltspunkte konkret auf die Designarbeit beziehen lassen, um der Frage wie soll ich als Designer*in handeln auf den den Grund zu gehen.

Kommunikationsdesigner*innen arbeiten mit dem Nachteil, dass sie nur ein Teil des gesamten Prozesses sind und meist nicht über Expert*innenwissen verfügen, dass den gesamten Prozess umspannt. Ein*e Kommunikationsdesigner*in muss sich dementsprechend immer in fremden Stoff einarbeiten um diesen adequat vermitteln zu können. Selten kommt es vor, dass ein Projekt bearbeitet wird, in dem er*sie sich schon ein*e Expert*in ist. Die Einarbeitung in ein Projekt kann d*ie Kommunikationsdesigner*in auf verschiedene Weisen angehen. Einerseits durch Recherche von verwandten Designprodukten. Es wird untersucht, wie branchenüblich kommuniziert wird. Andererseits kann diese durch eine Reihe von verschiedenen Diskursen und Kommunikationsprozessen, die ein*e Designer*in aufnehmen kann erfolgen. Diese Kommunikationsprozesse haben immer den Zweck der Abstimmung zwischen drei beteiligten Parteien im Kommunikationsprozess: Dem*r Auftraggeber*in, dem*r Designer*in und der Zielgruppe / Nutzer*in /Rezipient*in. 1

Wichtig in der Ausübung von sozialem Handeln ist auch, dass wir uns hinterfragen, was die Ziele unserer Handlung sind. Wollen wir nur eine Beeinflussung unseres Gegenübers (strategisches Handeln) oder geht es uns um eine Übereinkunft (kommunikatives Handeln). Je nach Situation kann eine strategische Handlung unser Gegenüber instrumentalisieren und entmenschlichen. Wir behandeln unser Gegenüber damit als Mittel zum Zweck.

Ethisch moralische Bewertung von Design kann nicht allein in der erfolgreichen Umsetzung eines von dem*r Kund*in gewünschten Designs erfolgen.2 Vielmehr muss hinterfragt werden, ob der Zweck des jeweiligen Designgegenstand gut ist. Kriterien für die Bewertung von Designgegenständen gibt es einige: Zum Beispiel die an anderer Stelle schon erwähnt, von Friedrich von Borries, in ermächtigendes und entmächtigendes Design.3

Wenn wir also moralische Fragen als Fragen deren Lösungen für alle gelten definieren, haben wir es beim Design immer wieder mit solchen zu tun, wobei Alle immer ein relativer Begriff ist. Das können sehr große Kulturgemeinschaften oder kleine Gesellschaftsteile sein, die einen gemeinsamen Wertekosmos teilen und diesen anwenden wollen.

2.1.4.1 Der Diskurs als Abstimmungmethode im Design

Designer*innen haben in ihrem Prozess an verschiedenen Punkten Abstimmungsprozesse eingebaut, an denen sie ihre Arbeit sowohl mit den Kund*innen wie auch den Rezipient*innen abgleichen. Durch Zwischenpräsentationen zum Beispiel gleichen Designer*innen Funktion und Ästhetik des Designprodukts mit den Kund*innen ab. Design Thinking Prozesse können sowohl zu Abstimmung mit Kund*innen wie auch Rezipient*innen dienen und werden teilweise sogar so eingesetzt, dass sie alle drei Parteien gleichzeitig zusammenbringen. Recherchen, oder auch viele Prozesse aus dem Social Design, dienen den Designer*innen dazu, Anforderungen der Kund*innenseite kennenzulernen.

Moodboards haben oft den Zweck das ästhetische Vokabular abzustimmen. D*ie Designer*in versucht die semiotischen Konnotationen, die er*sie zu bestimmten ästhetischen Parametern hat, mit ebensolchen auf Seite seiner Gegenüber abzugleichen. So wie es eine der Diskursvorraussetzungen ist, dass alle Teilnehmer*innen unter einem Wort dasselbe verstehen, ist es im Design ebensowichtig, dass unter einem ästhetischen Parameter dieselbe semiotische Konnotation vorherrscht.

In der Praxis tauchen solche Prozesse zum Beispiel oft auf, wenn ein*e Kund*in einen bestimmten Wunsch an ein*e Designer*in heranträgt und d*ie Designer*in erwidert dann in etwa folgendes: „Das ist aber spießig.“ D*ie Designer*in weißt seine*n Kund*in darauf hin, welche potentielle Assoziation sich hinter einer bestimmten Ästhetik verbirgt. Möchte d*ie Kund*in nicht spießig wirken und vertraut er*sie der Einschätzung de*r Designer*in, wird die Anforderung angepasst.

Die Grafik aus dem Kapitel (2.1.2) wurde adaptiert um zu zeigen wo im Gestaltungsprozess Abstimmungsprozesse erfolgen.

2.1.4.2 Entscheidungen im Designprozess von (diskurs-) ethischer Relevanz

Nicht jede Handlung, nicht jede Entscheidung die ein*e Designer*in trifft muss in einem moralischen Diskurs gerechtfertigt und hinterfragt werden. Ich habe im Folgenden eine Grafik von Horst Rittel abgebildet und in Teilen adaptiert.4 Die Grafik zeigt eine sinnvolle Denkstruktur eine*r Designer*in im Entwurfsprozess. Es gibt eine bestimmte potentielle Anforderung und ein*e Designer*in entscheidet nun in verschiedenen Phasen wie er*sie damit umzugehen hat.

In der ersten Phase fragt d*ie Designer*in sich, ob die Anforderung (A) Teil des Plans werden soll. Ist d*ie Designer*in unsicher durchläuft die Anforderung einen mehrstufigen Prüfungsprozess, wo sie auf Funktion, Machbarkeit, Neben-/ Nachwirkungen, Abwägung von Vor- und Nachteilen und Optionen für bessere Möglichkeiten geprüft wird. Es gibt fünf verschiedene Teilprüfungsstellen und nur wenn jede der Nummern 1—4 mit ja und 5 mit nein beantwortet wird, wird die potentielle Anforderung in den Designprozess mit aufgenommen und somit zu einer tatsächlichen Anforderung.

Ich habe die diskursethisch relevanten Entscheidungspfade rot eingefärbt. An dieser Stelle muss immer ein diskursethischer Prozess stattfinden, der die verschiedenen Interessensparteien miteinbezieht. Sie alle vier sind Fragen nach der Wirkung des jeweiligen Designs:

Soll die potentielle Anforderung (A) Bestandteil des Plans werden?

Dies ist im Endeffekt eine nur potentiell diskursethische Frage. Wenn d*ie Designer*in sich sicher ist, dass die folgenden drei Fragen nicht von diskursethischer Relevanz sind und dass keine Normen angezweifelt werden, muss diese nicht in einem Diskurs geklärt werden.

Sind die Nebenwirkungen und / oder Nachwirkungen von A tragbar?

Werden die Vorteile von A die Nachteile aufwiegen?

Sind die Erwartungen zu hoch? Sollten die Anforderungen gemindert werden?

Diese sind Fragen von Normen. Es sind alle drei Fragen, die die potentiellen Konsequenzen unserer hinterfragten Designanforderung bewerten sollen. Ob die potentiellen Konsequenzen tragbar sind oder nicht, hängt zum einen von den gemeinsam geteilten Werten ab. Zum anderen hängt davon ab, wie wir diese gemeinsamen Werte anwenden wollen. Das sind Fragen die Designer*innen nicht für sich beantworten können und für die sie den Diskurs mit der gesamten Interessengemeinschaft des jeweiligen Designs suchen sollten.

2.1.4.3 Diskurs und Kritik

Ein großer Teil der Arbeit von Designer*innen ist dem sogenannten kommunikativen Handeln also der Interaktion zuzuordnen. An früherer Stelle wurde festgestellt, dass nicht jede Frage im Designprozess von diskursethischer Relevanz ist. Aber ein deutlich größerer Teil des Designprozesses ist der Diskurs. Bisher unerwähnt geblieben ist, dass einer der wichtigsten Maßstäbe innerhalb der Designarbeit Kritik ist. Damit ist nicht per se Designkritik gemeint, die ja auch ein externes Feedback sein kann zu einem bereits entstandenem Designprodukt.5 Vielmehr ist Kritik schon im Gestaltungsprozess unter Designer*innen ein relevantes Werkzeug, um einen besseren Designgegenstand zu entwickeln. Dabei treten Designer*innen untereinander, oder auch Designer*innen mit Kund*innen oder Rezipient*innen in einen produktiven Diskurs ein. Denn, wie bei der Diskursethik, muss auch hier so etwas wie die ideale Sprechsituation angenommen werden, damit so ein Diskurs überhaupt stattfinden kann. Deswegen können wir von Habermas ableiten, dass Kritik als Methode im Design nur funktioniert, wenn alle Argumente denselben Stellenwert und alle Teilnehmer*innen denselben rationalen Anspruch an das Argument mit sich bringen.

2.1.4.4 Was ist diskursives Design?

Diskursives Design ist Designarbeit, welche ihre eigenen Normen hinterfragen kann. Ziel von diskursivem Design ist es also nicht nur Werte zu vertreten. Vielmehr geht es um diskursive Strukturen, die die Normen – also die Umsetzung dieser Werte – prüfen und bilden.

Diskursives Design – ein Vorschlag für ein Normenprogramm

  1. Design ist immer Auseinandersetzung (und manchmal sogar Interessenkonflikt) verschiedener Menschen.
  2. Dabei erschaffen Designer*innen (neue) Handlungsspielräume und bilden neue oder replizieren alte Selbstverständnisse für Menschen ab.
  3. Ziel von diskursivem Design ist die Schaffung von Dialogstrukturen im Designprozess, in denen Normen und Ansprüche besser zur Geltung gebracht werden können.
  4. Diskursives Design ist somit eine Methode zur Vermittlung von Interessen der Kund*innen, Designer*innen und Rezipient*innen.
  5. Im Diskurs wird die Wirkung von Design kritisch hinterfragt, in Hinsicht auf Werte der Betroffenen und auf Machbarkeit.
  6. Umso hierarchiefreier diese Dialogstrukturen sind, desto besser kann diskursives Design funktionieren.
  7. Deswegen postuliert diskursives Design für eine Enthierarchisierung der Designarbeit. Ethisch handeln kann nur d*iejenige d*ie, d*ie Verantwortung und den Handlungsspielraum dazu besitzt.
  8. Das langfristige Ziel muss sein, Designstrukturen zu bilden, die Designer*innen dabei helfen können, unabhängiger zu werden. Erst eine (weitgehende) Befreiung von ökonomischen Zwängen ermöglicht diskursethisches / moralisches Design.

Zu betonen ist jedoch Folgendes: Diskursives Design ist nicht per se gut, es ist möglichst gut. Designer*innen versuchen also im diskursiven Designprozess ihren Handlungsspielraum auszuloten um die bestmögliche Wahl zu treffen.

2.1.4.5 Unterschied zum Social Design

Social Design vertritt eine deutliche Erweiterung des Designbegriffs und erweitert diesen gewissermaßen auf das Wort gestalten.6 Es werden Methoden, Denkweisen und Arbeitsweisen aus dem Design entnommen und auf eine weitere Gestaltung von der Gesellschaft angewandt. Dazu gehören zum Beispiel Begriffe wie das design thinking und das design doing. Social Design involviert also wie das diskursive Design Rezipient*innen in den Designprozess.

Social Designer*innen interpretieren Design oft als eine der größten kulturellen und gesellschaftlichen Kräfte und vor allem als wichtiges Werkzeug im Kampf gegen Armut oder für Nachhaltigkeit. Design wird also weniger als kapitalistischer Auswuchs und Notwendigkeit betrachtet, sondern mehr als eigenständige Methode und Handlungsweise um sozial und aktivistisch Gesellschaft zu gestalten. Ein immer wieder zitiertes Beispiel dafür ist der Einsatz von Designmethoden in der Entwicklungshilfe.

Das Social Design entlehnt also Methoden, die im Design ihren Ursprung finden und wendet diese auf andere Problematiken an, wie die Entwicklungshilfe. So wie zum Beispiel das Design Thinking mittlerweile als Methode etabliert ist, um schnelle, kreative Lösungen für Probleme innerhalb von Betrieben zu entwickeln, die gleichzeitig noch einen Anstrich von Eigenverantwortlichkeit und Mitbestimmungsmöglichkeit bekommen sollen.7 Auch das ist eine Methode, die ursprünglich im Design entwickelt wurde und inzwischen an Stellen eingesetzt wird, die mit Design nichts zu tun haben, wie zum Beispiel in der Forschung.

Das Social Design kann aber nicht wirklich als andere, erfolgsversprechendere Methode für normale Kommunikationsdesigner*innen betrachtet werden. Was ich damit sagen möchte ist, dass Social Design nicht an die Stelle von Kommunikationsdesign treten kann. Es ist kein Ersatz für Kommunikationsdesign. Vielmehr übernimmt es eben weite Teile der Arbeitsweise von Kommunikationsdesigner*innen und überträgt es auf Felder, wo diese sinnvoll eingesetzt werden können. Das gibt de*r durchschnittliche*n Designer*in aber wenig Anhaltspunkte, wie er*sie in seiner*ihrer normalen Arbeit Möglichkeiten und Wege finden kann, besser nach moralischen Gesichtspunkten zu handeln. Vielmehr schlägt das Social Design vor: Setze deine Fähigkeiten doch an anderer sinnvollerer Stelle ein.

Daniel Feige schreibt außerdem zum Social Design: „Zu den Kernproblemen des Social Design scheint […] der durchaus als ideologisch zu bezeichnende Gedanke, dass bottom-up verfahrende und dabei partizipative Gestaltung per se einer Top-down-Gestaltung überlegen sei.“8 Dies ist ein berechtigter Kritikpunkt, der in gewisser Weise auch auf das diskursive Design zutrifft. Ich bin der Meinung, dass das diskursive Design dieses Problem aber deutlich besser löst, da es nicht forciert als bottom-up-Verfahren ausgelegt ist, sondern seinen Schwerpunkt darauf legt, an welchen Stellen im Designprozess Partizipation notwendig ist. So kann es zum Beispiel auch sinnvoll sein, eine Führungsrolle für ein Projekt zu bestimmen. Es ist aber wichtig, dass eine Führungsposition demokratisch legitimiert ist, da es die Akzeptanz der Entscheidungen verbessert. Außerdem ist es auch relevant, dass die Rollen der Personen in einem rationalen Diskurs nicht gleich sind. Designer*innen verfügen über Expertenwissen, was ihren Meinungen auf Fragen der Kommunikation einen anderen Stellenwert verschafft.

Das diskursive Design versucht – anders als das Social Design – zu betrachten, wie sich das Design innerhalb der bestehenden Strukturen anpassen und verändern kann. Es beleuchtet also die Handlungsspielräume und bessere Methoden in der Kommunikation, um zu sinnvolleren, akzeptierteren und generell besseren Designprodukten zu gelangen. Denn solange wir in einer Gesellschaft eines Wachstumskapitalismus leben, wird es Design und Werbung weiter geben und für den Erhalt eben jener notwendig sein. Die Fragen die dann bleiben sind folgende: Wie gut können wir innerhalb dieses Systems arbeiten? Wie schlecht müssen wir innerhalb dieses Systems arbeiten um zu überleben? Anders gesagt, könnte man behaupten der Anspruch von diskursivem Design ist nicht gut zu sein, sondern so gut wie möglich zu sein.

2.1.4.6 Unterschied zum Critical Design

Der Unterschied von Critical Design zu diskursivem Design ist an dieser Stelle noch einmal erwähnenswert. Critical Design übernimmt Designmaßstäbe (zum Beispiel Funktionalität) und invertiert diese und formt dadurch einen Designgegenstand, der eigentlich nach der Definition von Daniel Feige eher ein Kunstwerk ist. Da der praktische Teil der ästhetisch-praktischen Welterschließung fehlt, wird der Gegenstand zu einer Reflexion und Kritik von Design und Gesellschaft. Daraus können interessante Einsichten für das Design gewonnen werden, das macht es aber nicht zu Design. Eher muss man es wohl irgendwo zwischen Kunst und Design verorten.

Folgende Unterscheidung gilt: Diskursives Design entsteht im Diskurs, während Critical Design entsteht, um einen Diskurs auszulösen.

2.1.4.7 Relevantes Kommunikationsdesign

Gerade das Kommunikationsdesign muss sich in gewisser Weise auf seine Sinnhaftigkeit rechtfertigen. Werbung scheint, wenn man den Konsumzwang unserer Gesellschaft als unnötig ansieht, sehr oft ohne Sinn. Unser Verständnis von gutem Design ist zu sehr an eine gute Ausführung von Design geknüpft. Selten hinterfragen wir aber, ob die Funktion des Designs eine Gute ist. Dabei ist das die Grundvorraussetzung dafür, ob Design überhaupt gut sein kann.9 Oder in den paraphrasierten Worten von Christian Bauer: Wir kommen mit diesen Phrasen von gutem Design heute nicht mehr so weiter. Es handelt sich um etablierte Wunschgebilde.10

Es gibt aber Kommunikationsdesign, das in jeder aufgeklärten demokratischen Gesellschaft wichtig ist, unabhängig von der Situation der Marktwirtschaft. Also Kommunikationsdesign, dessen Sinn es nicht ist Werbung zu machen. Dazu gehört zum Beispiel die Signaletik, also die Gestaltung von Orientierungssystemen. Außerdem wird es zum Beispiel auch immer öffentliche Kommunikation geben, die es zu gestalten gilt. Sowohl von Seiten der Regierung, wie auch von journalistischer Seite.

2.1.4.8 Werbung

Grundsätzlich ist Werbung immer persuasiv und damit Ausdruck einer strategischen Handlung. Es ist aber wichtig, ob es den Rezipient*innen bewusst ist, dass sie manipuliert werden, also ob es sich um eine verdeckte oder offene strategische Handlung handelt. Ist die strategische Handlung offen, also erkennen die Rezipient*innen den Manipulationsversuch, dann sind sie frei sich dagegen zu wehren. „Erst wenn konkrete Bedingungen vorliegen, die ein zwanghaftes Einwirken auf die Umworbenen ausüben, so dass diese sich nicht oder nur unzureichend dagegen wehren können, kann Werbung als manipulativ gelten.“11 Bohrmann unterscheidet drei verschiedene Typen der manipulativen Werbung: Die sublimale Werbung, welche mit Techniken unterhalb der menschlichen Wahrnehmungsgrenze arbeitet; Die getarnte Werbung, also eine nicht klar gekennzeichnete Werbemaßnahme, die dadurch die Rezipient*innen täuscht; Die verfälschende Werbung, die zu knapp gefasste oder falsche Informationen verteilt. Das alles sind Ausdrücke verdeckten strategischen Handelns.12 Sie alle instrumentalisieren den Menschen in einer abzulehnenden Weise, weil sie Menschen nur als Mittel aber nicht als Zweck behandeln.

2.1.4.9 Die bestehende Relevanz der Designkritik

Das diskursive Design darf sich weiterhin nicht über die bloße Methode der Partizipation rechtfertigen. Auch kann natürlich nicht der Markt Maßstab dafür sein, was gutes Design ausmacht, da Konsument*innen sich nicht immer verlässlich dafür entscheiden, was für sie gut ist.13 Weiterhin fehlt dem Design ein externes Organ, das bewertet und Kritik an fertigen Designprodukten und der realen Einlösung ihrer Versprechen übt, also vor allem eines von gesellschaftlicher Relevanz, so wie wir zum Beispiel in der Kritik von Büchern oder Musik verfahren. Ein weiterer immer lauter werdender Aspekt der Designkritik ist die Videospielekritik, die inzwischen erkannt hat, dass moderne Computerspiele das Suchtverhalten von Menschen ausnutzen, um ihnen durch Mikrotransaktionen möglichst hohe Summen Geld abzuknöpfen. Das ist auch ein gutes Beispiel dafür, wie schlechte – oder im schlimmsten Fall sogar bösartige – Designentscheidungen Menschen mit einer hohen Neigung zum Suchtverhalten ausnutzen um Gewinne zu erzielen.14 Design ist also nicht nur gut, weil es handwerklich korrekt ausgeführt wurde und Gewinne erzielt.

2.1.4.10 Die Vorteile des diskursiven Designs

Design muss als zwischenmenschliche Tätigkeit gedacht werden, die maßgeblich mitwirkt am gesellschaftlichen Leben. Das diskursive Design kommt dieser Denkweise am nächsten, weil es auch den Designprozess in der richtigen Weise in den zwischenmenschlichen Kontext setzt. Die Gesellschaftsgruppen, für die Designer*innen gestalten, sind teilweise sehr divers. Oft haben Designer*innen keinen ausreichend tiefen Einblick in die Lebensumstände und Anforderungen der jeweiligen Rezipient*innen. Arbeitsmethoden, wie das diskursive Design, die versuchen möglichst viele verschiedene Stimmen und Interessen zu Wort kommen zu lassen, sind wichtiger denn je. Diskursives Design findet einen Weg Design sowohl als Dienstleistung an Kund*innen zu betrachten, wie auch an den Rezipient*innen.

Die Diskursethik bietet außerdem eine Möglichkeit alle drei Verantwortungsrollen für Designer*innen zur Sprache und zur Geltung zu bringen. So gehen die Fragestellungen, die im diskursiven Kontext thematisiert werden können, über eine bloße Professionsverantwortung hinaus und schließen auch die Bürgerverantwortung und die Selbstbehauptungsinteressen gewissermaßen mit in den Diskurs ein. Ethisch reflektiertes Handeln im Design kann sich auch nicht nur auf eine Berufsethik beziehen, weil das die gesellschaftlichen Folgen der Designarbeit überhaupt nicht berücksichtigt. Vielmehr geht es um eine Beschreibung der gesellschaftlichen Wirkung von Design und der Reflexion dieser, nach der Frage des richtigen Handelns. So kann Design besser seinem eigenen Anspruch gerecht werden und als gesellschaftliches Instrument ästhetisch-praktischer Welterschließung gedacht werden.

2.1.4.11 Die Nachteile und Risiken diskursiven Designs

Wie auch das Social Design riskiert das diskursive Design sich aussschließlich durch die Beteiligung der Betroffenen am Entstehungsprozess zu rechtfertigen. Es muss weiterhin kritisch hinterfragt werden, in welcher Rolle Kund*innen und Rezipient*innen auftreten. Die Meinungen der jeweiligen Gruppen haben nicht in allen Belangen den gleichen Stellenwert. Außerdem muss generell darauf geachtet werden, dass sich der Diskurs von einer bloßen Meinungsebene abhebt und auf rational untermauerten Erkenntnissen beruht. Dies kann sich in der Praxis auch als ungemein schwierig herausstellen.

Es kann natürlich auch sein, dass Designer*innen mit Menschen zusammenarbeiten, die sich partout nicht auf einen Diskurs einlassen wollen. Hier gelangen dann Designer*innen in eine schwierige Situation in der sie abwägen müssen, wie sie weiter verfahren. Sie können zum Beispiel das Projektvorhaben ablehnen. Sie können aber auch im Sinne der Umsetzungsregeln von Wolfgang Kuhlmann handeln, die schon in Kapitel 2.1.3.6 erwähnt worden sind. Einerseits können Designer*innen versuchen, den Ergebnissen eines Diskurses nahezukommen in dem sie ihn in ihren Köpfen durchspielen. Andererseits müssen sie sich überlegen, welche Handlungsweise sich langfristig als Sinnvolle eignet um eine idealere Kommunikationsgemeinschaft zu realisieren.

Außerdem ist das diskursive Design natürlich mit einem erheblichen Mehraufwand verbunden, da viele Entscheidungsprozesse nicht mehr nur von den Designer*innen getroffen werden können, sondern eben mit Zeitaufwand verbunden externalisiert werden. Nun gibt es natürlich die Möglichkeit, dass wie im Design Thinking, der Prozess auch beschleunigt wird. Aber zuerst müssen Designer*innen diesen unkonventionellen Mehraufwand rechtfertigen können.

Zuletzt ist noch zu erwähnen, dass viele Designer*innen in Strukturen arbeiten, die ihnen gar nicht die Möglichkeiten und Freiheiten geben, die Vorraussetzung sind für diskursive Designhandlungen. Eine der elementaren Grundvorraussetzungen der Diskursethik ist der herrschaftsfreie Konsens.15 Deswegen müssen wir – um die weiteren Anwendungsgebiete der Diskursethik zu klären – erst einen Blick auf die Arbeitssituation und Machtstrukturen von Designer*innen werfen, bevor wir urteilen können, wo diskursives Design überhaupt zum Einsatz kommen kann.

  1. Der mit dem Gestaltetem ins Verhältnis gesetzte. Judith-Frederike Popp »Sich selbst gestalten. Ästhetische Selbstverständnisse zwischen Kunst, Design und Alltag« ↩︎
  2. @dorschel2003, S.27 ↩︎
  3. @borries2016, S.28, siehe auch Kapitel 2.1.2.4 ↩︎
  4. @rittel2012 S.35—36 ↩︎
  5. @designkritik2018, S. 19 ↩︎
  6. @banz2016, S. 7—8 ↩︎
  7. @seitz2017, S. 103ff. ↩︎
  8. @feige2019, S. 46 ↩︎
  9. @feige2018, S. 205ff. ↩︎
  10. Seminar Angewandte Ethik V an der HBK Saar am 06.01.21 ↩︎
  11. @schicha2010, S. 294 ↩︎
  12. vgl. @schicha2010, S. 293—303 ↩︎
  13. @feige2019, S. 49 ↩︎
  14. @jernstrom2016: Dieses Video eines Videospieleentwicklers zeigt sehr anschaulich mit welch perfiden Methoden in Spielen das Sucht- und Ausgabeverhalten von sogenannten „whales“ gesteuert wird. Dieser Bruchteil der Nutzer*innen eines Videospiels steuert die größten Gewinne bei, indem solche „whales“ oft mehrere tausend Euro für ein Spiel ausgeben. Jernström gibt offen zu, dass es sich dabei oft um Menschen mit einer Neigung zu Suchtverhalten handelt und fördert dieses noch aktiv. ↩︎
  15. @habermas2016 S. 144 ↩︎

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