2.2.1

Flussers Dialogstrukturen und ihre Bedeutung für das Kommunikationsdesign

Es lohnt sich einen Blick auf die verschiedenen Kommunikationsstrukturen zu werfen und darzulegen an welchen Stellen diese in der Designarbeit ihren Platz finden. Nur so können wir später aussagekräftige Behauptungen aufstellen, an welcher Stelle und auf welche Weise in der Designarbeit Diskurse stattfinden können. Dafür beziehe ich mich in meiner Untersuchung auf Vilém Flussers Kommunikologie, da dieser als Kommunikationsforscher ein Modell entwickelt hat, das in vielerlei Weise im Kommunikationsdesign anwendbar ist.

2.2.1.1 Verschiedene Diskurs- und Dialogmodelle nach Flussers Kommunikologie

Darstellung eines Diskurses nach Flusser

Vornherein muss der Verständlichkeit halber erwähnt werden, dass die Bedeutung der Worte Diskurs und Dialog bei Flusser eine gänzlich andere Bedeutung annimmt als bei Habermas. Diskurse sind nach Flusser Strukturen, die dazu dienen Informationen zu übertragen und sie dadurch zu bewahren. Für Diskurse ist es dementsprechend besonders wichtig, dass sie die Informationen nicht deformieren. Diskurse dienen oft dazu weitere Diskurse anzuregen und dadurch einen Informationsstrom zu erzeugen.

Darstellung eines Dialogs nach Flusser

Dialoge wiederum haben denn Sinn neue Informationen durch den Austausch von alten zu gewinnen. Ob eine Kommunikationsform ein Dialog oder ein Diskurs ist hängt laut Flusser oft nur vom Blickwinkel ab. Er wählt das Beispiel eines wissenschaftlichen Buches, welches für sich ein Diskurs ist. Zusammen mit anderen wissenschaftlichen Büchern bildet es einen Dialog. Sie entsprechen also eher dem, was Habermas sich unter einem Diskurs vorstellt. Die Unterscheidung lässt sich ungefähr folgendermaßen treffen: Ein Diskurs nach Habermas ist immer ein Dialog nach Flusser. Aber ein Dialog nach Flusser ist nicht immer auch ein Diskurs nach Habermas. Die Betrachtung ist aber interessant, da sich nur in einer dialogischen Struktur – im Sinne von Flusser – ein Diskurs – im Sinne von Habermas – bilden kann.

Der Theaterdiskurs, Abbildung nach @flusser1996, S. 21

Theaterdiskurse sind, wie die Darstellung schon andeutet, vor einem Hintergrund gerichtete Diskurse. Dazu gehören neben dem Theater zum Beispiel auch Klassenzimmer oder Wohnzimmer. Wichtig ist, dass sich durch diese Anordnung Sender*in und Empfänger*in gegenüber stehen. Durch die Nähe und die gegenseitige Ausrichtung droht aber auch der Dialog und dadurch die Infizierung (Beeinflussung, Veränderung) der ursprünglichen Information. Vorteil der Nähe wiederum ist, dass die Empfänger*innen direkt verantwortlich gemacht werden können. Grundsätzlich sind Theaterdiskurse meist offen für Dialoge; diese sind aber nicht der Sinn des Theaterdiskurses. Vorranging dient ebendieser als Diskurs zum Übertragen von Informationen.

Der Pyramidendiskurs, Abbildung nach @flusser1996, S. 22

Pyramidendiskurse sind zum Beispiel oft in Armeen, und politischen Parteien zu finden, so Flusser. Sie sind somit ein bestimmter Typ öffentlicher Verwaltung. Die Figur an der Spitze fungiert als Gedächtnis, das Codes nach unten in der Struktur schickt. Damit die Information möglichst unbeschädigt bleibt, werden die Informationen zur Übertragung in einem Relais kodifiziert. Die Empfänger selbst haben keine Möglichkeit selbst Informationen zurückzusenden, es sein denn, sie steigen in der Pyramide auf. Ihre große Besonderheit ist Vorteil und Nachteil zugleich. Informationen können sich – wegen der Übertragung der Informationen durch den Code – nicht in der Weitergabe entwickeln und verändern.

Der Baumdiskurs, Abbildung nach @flusser1996, S. 24

Ersetzt man die Relais des Pyramidendiskurses durch Dialoge verändert sich dieser hin zu einem Baumdiskurs. Dieser bringt zwei radikale Veränderungen mit sich: Erstens gibt es Kreuzungen der Kanäle und zweites gibt es keine endgültigen Empfänger*innen mehr. Anwendung, so Flusser, findet der Baumdiskurs vor allem in Wissenschaft und Technik. Die Verteilung der Informationen breitet sich exponentiell aus. Durch die vielfache Einbettung von Dialogen führt der Baumdiskurs auch zu einer ständigen Neukodierung von Information, was ständig neue Informationen erzeugt.

Der Ampitheaterdiskurs, Abbildung nach @flusser1996, S. 27

Der Amphitheaterdiskurs, verlässt das direkte Setting des Theaterdiskurses zugunsten eines weit offenen. Moderne Anwendungen des Amphiteaterdiskurses sind zum Beispiel Massenmedien wie das Fernsehen, das Radio oder Plakate. Durch das Zwischenmedium (den Kanal) gibt es auch hier keine Rückkopplung von Empfänger*in zu Sender*in. Die Informationen können überall entschlüsselt werden und der Sender*in sendet ewig. Flusser bezeichnet den Amphiteaterdiskurs auch als perfekte Kommunikation.

Der Kreisdialog, Abbildung nach @flusser1996, S. 29

Kreisdialoge dienen, wie Dialoge generell der Erzeugung von neuen Informationen. Ein kleiner Kreis aus Menschen, im Sinne eines runden Tisches, bilden zum Beispiel Gremien, Parlamente, Laboratorien oder Kongresse. Wichtig ist, dass in Kreisdialogen immer nach einem gemeinsamen Nenner – der Synthese – gesucht wird. Beteiligte weisen unterschiedliche Informationen, Kompetenzen, Denkweisen und Kodierungen auf. Ein Problem am Kreisdialog ist aber, dass es schwieriger wird ihn zu führen umso mehr Teilnehmer*innen es gibt. Die Geschlossenheit in der Gruppe ist oft die Voraussetzung für das vertrauensvolle offene Verhältnis zwischen den Menschen, welches für den Kreisdialog notwendig ist.

Der Netzdialog, Abbildung nach @flusser1996, S. 32

Netzdialoge bilden das Grundnetz aller anderen Kommunikationsformen. Beispiele sind Gerede, Geschwätz, oder auch Gerüchte. Aber auch Post und Telefon sind Netzdialoge. Netzdialoge sind auch maßgeblich an der Bildung eines kollektive Gedächtnisses beteiligt. Durch ihre wechselseitige Struktur deformieren sie Informationen aber auch sehr.

2.2.1.2 Die Dialogstrukturen innerhalb von Designprozessen zwischen Kund*innen, Rezipient*innen und Designer*innen

Kommunikation im Kommunikationsdesign findet auf zwei Ebenen statt. Einmal im Entwurfsprozess, worauf ich in Kapitel 2.1.4 eingehe. Und auf der anderen Seite ist das Kommunikationsdesignprodukt selbst ein Teil eines Kommunikationsprozesses. Darauf gehe ich im nächsten Unterkapitel 2.2.1.3 ein. Doch zuerst soll betrachtet werden, in welche Kommunikationsmodelle die verschiedenen, zuvor ermittelten Kommunikationssituationen, im Entwurfsprozess einzuordnen sind.

Umso mehr hierarchische Ebenen Informationen durchlaufen, desto mehr gleicht der Kommunikationsweg dem eines Baumdiskurses. Kleinere Projektsituationen mit einer führenden Person sind eher als Theaterdiskurse zu verorten. Workshops zum Beispiel können sowohl Theaterdiskurse sein, aber durchaus auch die Form eines Kreisdialogs annehmen. Teamsituationen können die Ebene eines Kreisdialogs erreichen, sind aber oft auch eher versprengte Netzdialoge. Auf die Auswirkungen der Kommunikationsstrukturen innerhalb von Agenturstrukturen gehe ich auch in Kapitel 2.2.2 noch einmal ein.

Hier wird auch ein weiteres Problem deutlich. Designagenturen, die Kontakter*innen1 für die Kommunikation zwischen Designer*innen und Kund*innen benutzen, hebeln die Möglichkeit eines Dialogs aus. Dadurch wird die Kommunikation ebenfalls wieder indirekt und diskursethische Verfahrensethik unmöglich gemacht.

2.2.2.3 Kommunikationsdesign als Amphitheaterdiskurs

Wenn wir also Kommunikationsdesign als Amphitheaterdiskurs betrachten wollen, benennen wir zuerst die drei Ebenen. So haben wir eine*n Absender*in, d*ie kommunizieren möchte, ein Relais in das die Kommunikation codiert wird und mindesten eine*n Empfänger*in. Absender*in sind in gewisser Weise d*ie Kommunikationsdesigner*in und die Kund*in zugleich. Präziser ausgedrückt ist d*ie Kommunikationsdesigner*in d*iejenige, d*ie den Bauplan des Relais entwirft, oder sogar das Relais selbst anfertigt. Der Kanal hat insofern zwei wichtige Komponenten, die wir betrachten müssen. Erstens wird die Information, die er übertragen soll kodifiziert. Dabei kann die Information verändert werden. Zweitens gibt es nur sehr selten eine direkte Rückkopplung hin zum*r Absender*in. Dies schließt jegliche Form des Dialogs aus.

Eine solche Betrachtung gibt uns drei wichtige Bewertungskriterien für das Kommunikationsdesign:

Wie akkurat bildet der gefertigte Kanal die ursprüngliche Information ab?

Wurden die richtigen ästhetischen Mittel gewählt um die Information zu transportieren?

Wie effektiv spricht der gewählte Kanal die Empfänger*innen an?

Werden alle / genug der gewünschten Rezipient*innen angesprochen?

Wie effizient spricht der gewählte Kanal die Empfänger*innen an?

Werden eventuell Menschen belästigt, die dem Kanal und dessen Botschaft ausgesetzt sind, aber für die die Information nicht bestimmt ist? Wie präzise ist also der Kanal?

Wichtig ist es an dieser Stelle vor allem zu begreifen, dass es dadurch, dass es bei Gegenständen des Kommunikationsdesigns immer um Diskurse geht, und es allein schon wegen ihrer Funktion keine Dialoge bilden kann. Ziel von Kommunikationsgegenständen ist immer die Übertragung von Information (Diskurs) und nicht die Rückkopplung ebendieser um im Zusammenspiel zwischen Kund*in und Rezipient*in neue Informationen entstehen zu lassen (Dialog). Es gibt für diese These einige denkbare Ausnahmen, über die man streiten kann, wie Chatportale, aber generell und für den allergrößten Teil der Arbeit von Kommunikationsdesigner*innen gilt: Kommunikationsdesigner*innen gestalten Diskurse, keine Dialoge. Deswegen ist es auch nicht möglich, dass Kommunikationsdesigner*inne diskursethische Prozesse in ihren Designgegenstand einbauen. Schließlich ist Voraussetzung für das diskursethische Verfahren der Dialog. Sie können natürlich zu solchen Verfahren hinführen und aufrufen, aber sie können keine Diskurse im habermasschen Sinne bilden.

  1. Ich selbst habe in meiner Arbeit beobachtet, dass insbesondere Werbeagenturen gerne Kontakter*innen für die Kommunikation einsetzen. ↩︎

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