2.3.1

Demokratischere Arbeitsformen im Design und ihr Potential

Im letzten Kapitel wurde beleuchtet, dass viele Designer*innen in Strukturen arbeiten, in denen diskursives Design nicht möglich ist. An dieser Stelle wird nach alternativen Organisationsformen für Designarbeit gesucht. Da die Diskursethik demokratische Prinzipien aufweist schien es mir nur sinnvoll, nach einer Organisationsform zu suchen, der demokratische Strukturen auch inhärent sind. Deswegen stelle ich im folgenden Genossenschaften und ihr Potential für die Designarbeit vor.

2.3.1.1 Genossenschaftliche Betriebe – Merkmale und Kennzeichen

Als Genossenschaft versteht sich ein kooperativer Zusammenschluss von Personen; dies kann grundsätzlich dem Zweck der Erwerbstätigkeit einer wirtschaftlichen, sozialen und / oder kulturellen Förderung ihrer Mitglieder dienen. Im Streben nach einer nachhaltigen Betriebsform fokussiert sich die Genossenschaft auf die langfristige Förderung ihrer Mitglieder anstelle von schneller Kapital- und Renditenmaximierung. Dieser Sinn nach Gemeinsamkeit, Gerechtigkeit und Gegenseitigkeit, in einem kollektiv getragenen und kontrollierten Unternehmen, verlangt das kooperative Handeln aller Beteiligten.

Die Genossenschaft verwaltet und verantwortet sich, im Sinne ihrer Mitglieder, selbst. Ein genossenschaftlicher Betrieb hat keine geschlossene Mitgliederzahl, ebenso ist ein Bei- sowie der Austritt freiwillig. Weitere typische Merkmale sind unter anderem „demokratische Entscheidungsfindung durch die Mitglieder, wirtschaftliche Mitwirkung der Mitglieder, Autonomie und Unabhängigkeit, Aus- und Fortbildung sowie Information, Kooperation zwischen Genossenschaften und Sorge für die Gemeinschaft“1 „An der gemeinsam getragenen Betriebswirtschaft sind die Mitglieder finanziell in Form von Geschäftsanteilen beteiligt. Daneben haben sie eine beschränkte oder unbeschränkte Haftpflicht zu übernehmen.“2

Eine Genossenschaft vereint die drei verwaltenden Organe Generalversammlung, Vorstand und Aufsichtsrat in sich. In der regelmäßig abzuhaltenden Generalversammlung wählen alle Mitglieder – mit je einer Stimme, unabhängig vom Geschäftsanteil 3 – den Vorstand sowie einen Aufsichtsrat. In Eigenverantwortung leitet der Vorstand (bestehend aus mindestens zwei natürlichen Personen) die Genossenschaft im Sinne der betrieblichen Zielsetzung. Er ist der gesetzliche Vertreter der Genossenschaft.

Die Aufgabe des Aufsichtsrats besteht vornehmlich in der Überwachung des Vorstands. Er vertritt die Interessen der Genossenschaft gegenüber dem Vorstand.4

Genossenschaften treten in sehr unterschiedlichen Bedingungen und Konstellationen auf. Die große Zahl der verschiedenen Arten erschwert eine Kategorisierung oder systematische Ordnung. Aus der Betrachtung der Beziehung, zwischen der Genossenschaft und ihren eigenen Mitgliedern, lassen sich jedoch die Formen der Förderungsgenossenschaft, der Produktivgenossenschaft und der Sozialgenossenschaft sinnvoll ausdifferenzieren.5

Die Formen der Förderungsgenossenschaft und insbesondere die der Produktivgenossenschaft sind in Hinsicht auf Designarbeit genauer zu betrachten.

2.3.1.2 Die Förderungsgenossenschaft

Die Förderungsgenossenschaft – auch hinter der Bezeichnung Ergänzungs- oder hilfswirtschaftliche Genossenschaft zu finden – nimmt den selbstständig wirtschaftenden Mitgliedern bestimmte Funktionen ab. Die Eigenständigkeit bleibt dabei jedoch gänzlich erhalten und wird vielfach auch gezielt gefördert. Die Mitglieder versprechen sich durch die konzentrierte, gemeinsame Verwaltung gleichartiger Funktionen, die eigene (wirtschaftliche) Situation zu verbessern.6

So nimmt die Genossenschaft beispielsweise Erzeugern den Vertrieb ihrer Produkte ab. Auch die Beschaffung von Rohstoffen oder Waren für den Wiederverkauf könnte übernommen werden. Die Mitglieder einer Förderungsgenossenschaft nehmen dabei stets nur eine Rolle der Handelspartei ein (z.B. Kunde oder Lieferant). Daraus folgt, „daß die Förderungsgenossenschaft zwar ökonomische Vorteile für ihre Mitglieder erbringen soll, daß sie von ihrer Grundkonstruktion her aber keinen Gewinn für die genossenschaftliche Betriebswirtschaft anzustreben hat.“7

Im Kontext der Schriftgestaltung könnte man sich an dieser Stelle eine Förderungsgenossenschaft vorstellen, die die Vermarktung und den Vertrieb der Schriften von individuell und selbständig arbeitenden Foundries und Schriftgestalter*innen übernimmt. Durch das gesammelt größere Angebot, steigt die Attraktivität für potentielle Kunden und die Wettbewerbsfähigkeit der Genossenschaftsmitglieder (hier viele kleinere Foundries) wird gestärkt. Die Genossenschaft tritt dann an die Stelle großer Unternehmen, die für ihre Dienstleistungen (wie Bereitstellung einer Verkaufsplattform und Marketing) große Teile des Gewinns zugunsten der eigenen wirtschaftlichen Intension einbehalten. Kurzum die Förderungsenossenschaft dieser Art könnte eine höchst interessante Alternative zu Monopolisten und Plattformen wie MyFonts sein.

2.3.1.3 Die Produktivgenossenschaft

Im Gegensatz zur Förderungsgenossenschaft möchte die Produktivgenossenschaft nicht die autonome Wirtschaft ihrer Mitglieder fördern. Stattdessen strebt die Produktivgenossenschaft – auch Vollgenossenschaft oder Vollproduktivgenossenschaft gennant – für ihre Mitglieder eine angemessen bezahlte Beschäftigung im gemeinsam geführten Betrieb an. Das Mitglied einer Produktivgenossenschaft ist in seiner Rolle also Arbeitnehmer und Arbeitgeber bzw. Unternehmer zugleich.8 Anstelle eines selbstständigen Gewerbes oder einer klassischen Arbeitnehmerrolle versprechen sich die Mitglieder eine sicherere wirtschaftliche Existenz, die Verbesserung der Arbeitsbedingungen, des Einkommens und nicht zuletzt ein Mitbestimmungsrecht bzw. die gleichberechtigte Unternehmensführung.9

„Der Unternehmensgegenstand der Produktivgenossenschaften kann nicht nur die Herstellung von Produkten und deren Verkauf, sondern auch die Erbringung von Dienstleistungen sein.“10 In diesem Sinne wird die Projektion dieser Unternehmensform auf eine Kommunikationsdesignagentur – die vornehmlich Dienstleister ist und nur selten selten eigene Produkte direkt verkauft 11 – interessant. Die Strukturen einer Produkivgenossenschaft sind jedoch sehr gegensätzlich zu einer klassischen Agentur. Doch gerade in diesem Umdenken zu einer traditionellen genossenschaftlichen Wirtschaftsführung liegt viel Potential für die Anpassung der Geschäftsform an die Anforderungen der Dienstleistungsdesignbranche. 12

2.3.1.4 Genossenschaften und deren bisherige Anwendung im Design

Genossenschaften finden im Design jedoch kaum Beachtung. Insgesamt machen den Großteil der Produktivgenossenschaften Baugewerbe, verarbeitendes Gewerbe, Friseur und Kosmetiksalons und der Groß- und Einzelhandel aus.13 Designstudios die rechtlich genossenschaftlich geführt werden machen keine nennenswerte Kategorie der Produktivgenossenschaften aus. Nach langer Suche sind mir selbst nur fünf solche, in Deutschland agierende, Designgenossenschaften bekannt.14 In meinem Gespräch mit David Herzog15 hat sich auch herausgestellt, dass die Prüfungsverbände für die Zulassung solcher Genossenschaften eine starke Rolle spielen und es je nach Bundesland unterschiedlich schwierig ist, gerade mit einer geringen Teilnehmer*innenzahl eine Genossenschaft zu gründen.

Aber auch in der Literatur für Gründungen und potentielle Unternehmensformen für Designstudios finden Genossenschaften keine Beachtung. Weder im Buch „Frei – Selbständig arbeiten als Designer“,16 noch im Buch „Existenzgründung für Designer“17 finden sich Anmerkungen, die die Genossenschaft als eine in Betrachtung zu ziehende Organisationsform darstellen. Das mag auch daran liegen, dass Designstudios oft mit nur wenigen Mitgliedern gegründet werden, aber erst seit 2006 die Mindestmitgliederzahl einer Genossenschaft auf drei heruntergesetzt wurde.18 Dadurch ist vermutlich traditionell die Genossenschaft nie eine Unternehmensform gewesen, die für Designer*innen interessant war. Eine weitere Vermutung von mir ist, dass die Genossenschaft vor allem ein ostdeutsches Phänomen ist.19 Gleichzeitig wurde die Werbebranche in Ostdeutschland nach dem Mauerfall weitgehend zerschlagen, was vielleicht ebenfalls zu den historischen Unterschieden beigetragen haben könnte. So waren die Orte die für Werbeagenturen interessant waren vornehmlich im Westen und die Orte die genossenschaftliche Organisation in betracht gezogen hätten vornehmlich im Osten, was erklären würde warum wir so wenige Designgenossenschaften gesehen haben.

Die komplizierte, aufwändige und kostenintensive Gründung einer Genossenschaft, könnte ein Grund dafür sein, warum es so wenige Genossenschaften im Designbereich gibt. Dafür verantwortlich zu machen ist meines erachtens der deutsche Staat, der hingegen der Forderungen der europäischen Union nach „besserer Wahrnehmung dieser Unternehmensform und der Schaffung günstiger Rahmenbedingungen für ihre Entwicklung“20 bislang unerfüllt lässt. Dennoch bietet die Genossenschaft interessante Vorteile für Designer*innen, insbesondere für die Anwendung von diskursivem Design.

Es ist außerdem zu beachten, dass es sich bei der genossenschaftlichen Wirtschaftsweise um eine Form der wirtschaftlichen Kooperation handelt.„Besonders in Zeiten schlechter Wirtschaftslage oder sehr starken Wettbewerbs entstehen vielfältige Arten wirtschaftlicher Zusammenarbeit, die im Prinzip alle die Aufgabe haben, im Wege der Selbsthilfe die Wettbewerbsposition der Beteiligten zu verbessern oder zumindest zu erhalten. […] “21 Ein gemeinschaftliches Unternehmen muss jedoch in einer bestehenden Rechtsform gegründet und geführt werden.

Dabei ist die eingetragene Genossenschaft (eG) nur eine der möglichen Rechtsformen, in der ein genossenschaftlicher Betrieb auftreten kann. Grundsätzlich ist die Idee einer genossenschaftlichen Wirtschaftsführung rechtsformneutral. So finden sich immer wieder auch Aktiengesellschaften und GmbHs, die eine genossenschaftliche Zielsetzung, als nichtgenossenschaftliche Rechtsform, verfolgen. Unternehmungen, die sich genossenschaftlich strukturieren und im Sinne einer Genossenschaft handeln, jedoch formal rechtlich nicht als solche auftreten, werden unter anderem und hier im Folgenden als latente Genossenschaften bezeichnet.22

  1. @rodriguesguerra2017, S.33 Vergleiche außerdem @rodriguesguerra2017, S. 27ff ↩︎
  2. @schultz2019, S. 10 ↩︎
  3. vgl. @rodriguesguerra2017, S.32 ↩︎
  4. @genossenschaftsverbandbayern2017 ↩︎
  5. vgl. @rodriguesguerra2017, S. 33ff ↩︎
  6. vgl. @schultz2019, S.6ff ↩︎
  7. @schultz2019 S.12, Vergleiche außerdem S. 11ff ↩︎
  8. @schultz2019, S.13 ↩︎
  9. vgl. @rodriguesguerra2017, S.36f ↩︎
  10. @rodriguesguerra2017, S. 37 ↩︎
  11. Produktdesigner*innen oder Schriftgestalter*innen ↩︎
  12. Selbes gilt für Designagenturen, die neben Dienstleistungen auch Produkte anbieten. Das könnte beispielsweise im Produkt- oder Schriftdesign gegeben sein. ↩︎
  13. @rodriguesguerra2017, S 109 ↩︎
  14. Diese fünf sind: Wigwam Berlin, Rheinblau Coop Berlin, s:coop Saarbrücken, Werbegenossen Hamburg, Supermarkt Berlin ↩︎
  15. David Herzog ist Anwalt, unter anderem für Wirtschaftsrecht und hat selbst schon im bayrischen Raum an der Gründung von Genossenschaften mitgewirkt. Außerdem ist er als Lehrbeauftragter für Recht an mehreren Gestaltungshochschulen. ↩︎
  16. @uphaus2018 ↩︎
  17. @herzog2017 ↩︎
  18. @buzerpunktde2006 Dies geschah im Zuge der Anpassungen des deutschen Genossenschaftsrechts im Hinblick auf die Einrichtung von Europäischen Genossenschaften ↩︎
  19. @rodriguesguerra2017, S.108: über 70% aller deutschen Produktivgenossenschaften befinden sich in Ostdeutschland ↩︎
  20. @rodriguesguerra2017, S. 48—49 ↩︎
  21. @schultz2019, S.8 ↩︎
  22. vgl. @schultz2019, S.9 ↩︎

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