3.1.1

Konzept

Das Buch Kontemplationen ist nicht Resultat sondern Teil des Prozesses meiner Masterarbeit. Es ist eine Sammlung von Ideen aus verschiedenen Entwurfsphasen. Ziel war es einen Anlass zu schaffen, um in die Projektpraxis einzusteigen, obwohl das Konzept noch nicht fertig durchdacht und abgeschlossen war.

Ziel der Kontemplationen war es, mit dem Buch einen virtuellen Raum zu schaffen, den ich relativ frei mit verschiedenen Ansätzen füllen konnte. Ich sehe das Projekt als Teil meiner eigenen Forschung durch Design. Ich wollte ein Medium finden, in dem ich mich frei an verschiedenen textbasierten Vorhaben ausprobieren kann. Das waren sowohl eher tagebuchähnliche Texte, Texte die ich begleitend und beobachtend zu verschiedenen Projekten geschrieben habe und freie Anekdoten, die sich gut für die Designarbeit verwenden lassen.

Ich verstand dieses Projekt als ersten Versuch für meine Masterarbeit mit verschiedenen Gestaltungselementen wie Schrift, Layout, Schreibstil und Illustrationsstil zu experimentieren. Bestenfalls würde ich damit Teile meiner Formsprache entwickeln, die sich später auch auf andere Teile meiner Arbeit übertragen lassen.

3.1.1.1 Schrift (gemeine Schriftsippe)

Für mein Masterprojekt, das hauptsächlich aus der Entwicklung einer ethisch geleiteten Arbeitsweise besteht, wollte ich auch eine eigene Schrift entwickeln. Ich entschied mich für eine Grotesk, die in der Assoziation mehrere Vorteile in sich vereint. Einerseits werden Groteskschriften (wie zum Beispiel die Helvetica) als neutral wahrgenommen. Das ist gerade in der textlichen Verhandlung des Themas Ethik wichtig. D*ie Leser*in soll nicht das Gefühl haben durch die Gestaltung zu einer Aussage hin manipuliert zu werden. Andererseits erwecken gerade die frühen Groteskschriften, an die ich mich in meiner Gestaltung verstärkt angelehnt habe, einen Eindruck, der je nach Anwendung an das schweizer und deutschsprachige Design erinnern kann. Dieser ist als subtiler Hinweis auf die Diskursethik, als eine vor allem im deutschsprachigen Raum vertretene Ethik, deutbar.

Im Ausbau der Schrift wollte ich sowohl eher langweilige Textschnitte, wie auch spannendere plakative Schnitte entwickeln. Deswegen entwickelte ich für die gemeine Grotesk eine unübliche große Bandbreite von 47 Schnitten in jeweils aufrecht und kursiv. So umfasst die gemeine Grotesk sehr breite und fette Plakatschnitte, dynamische Obliqueschnitte und auch gut lesbare und ruhige Textschnitte.

gemeine Grotesk

Die vergleichsweise hohe x-Höhe relativ zur Gesamthöhe der Schrift sorgt dafür, dass die Versalien im Vergleich zu den Minuskeln nicht auffällig groß werden. Dies hat gerade in der deutschen Sprache – einer Sprache mit überdurchschnittlich vielen Großbuchstaben – den Vorteil, dass dadurch der Grauwert von Fließtexten deutlich harmonischer wird.

gemeine Grotesk in ihrer Anwendung des Gendersternchens

Das Gendern wird ein immer wichtigerer Teil der deutschen Sprache. Eine Studie aus dem Jahr 2020 kommt zu dem Ergebnis, dass 35% der telefonisch befragten Personen gendergerechte Sprache voll und ganz befürworten oder eher befürworten. Bei Menschen mit höherem Bildungsabschluss ist sogar eine kleine Mehrheit für die gendergerechte Sprache vorhanden.1 Es gibt inzwischen Hinweise darauf, dass das generische Maskulinum nicht ausreicht um im Kopf eines*r Leser*in ein vollständig geschlechterneutrales Bild zu erzeugen.2 Anatol Stefanowitsch drückt sich folgendermaßen aus: „Das generische Maskulinum versteckt also Frauen systematisch und legt ihnen die zusätzliche Bürde auf, ständig darüber nachzudenken, ob sie in einem konkreten Fall mitgemeint sind oder nicht. […] Wer dieses Versteckspiel und diese zusätzliche Interpretationsarbeit für sich ablehnt, darf sie auch anderen nicht zumuten.“3 Ich persönlich bin großer Freund des Gendersternchens, da es meiner Meinung nach noch eine weitere Anforderung erfüllt. Es inkludiert nicht nur die zwei Geschlechter männlich und weiblich. Vielmehr lässt der Stern – typografiehiostorisch als Ergänzungszeichen genutzt – die Möglichkeit weitere Geschlechterdefinitionen hinzuzufügen und mitzumeinen. Um diese besser in den Schreibfluss einzufügen, habe ich der gemeinen Grotesk extra Ligaturen und eine eigene Variante des Sterns zur Nutzung als Gendersternchen hinzugefügt.

gemeine Grotesk und gemeine Grotesk micro

Ein weiteres typografisches Thema der Inklusion ist die Lesbarkeit von Texten. So habe ich der gemeinen Grotesk einige Buchstabenvarianten hinzugefügt, die spezifisch für die Verwendung in kleinen Punktgrößen gedacht sind. Diese dienen zum einen durch größere Öffnungen dazu, bestimmte Zeichen besser zu erkennen und voneinander zu unterscheiden. 4 Außerdem werden einige Zeichen durch eine unkompliziertere, oder breitere Version ersetzt.

gemeine Antiqua

Für lange Fließtext merkte ich schnell, dass die gemeine Grotesk anstrengend zu lesen war. Deswegen ergänzte ich diese noch um die gemeine Antiqua. Diese soll sich durch einen ähnlichen Grauwert, die selbe x-Höhe, Ober- und Unterlänge gut mit der gemeinen Grotesk kombinieren lassen. Auch im Aufbau und der Formensprache sind klare Parallelen erkennbar.

gemeine Antiqua kursiv

Die gemeine Antiqua ergänzte ich noch um eine kursive als Auszeichungsschnitt. Ziel von diesem war zweierlei. Durch die deutlich andersartigen Formen der Kursiven konnte ich eine aggressivere Stimmung in die Schriftfamilie mit aufnehmen. Außerdem sollte die Kursive im Text wichtige Passagen oder Stichwörter gut hervorheben können, damit diese beim Überfliegen des Texts schnell sichtbar würden. Die verringerte Leserlichkeit einer Kursiven kann den Vorteil haben, dass d*ie Leser*in konzentrierter Schlüsselbegriffe ließt, was zu einem verbesserten Textverständnis beitragen kann.

3.1.1.2 Der Illustrationsstil

Der Illustrationsstil soll eine sowohl einfache wie präzise Darstellung von Bildern ermöglichen. Der vektorbasierte Outlinestil lässt es zu, unterschiedliche Illustrationen zu skalieren und – neu kombiniert – in verschiedenen Größen einzusetzen. Gerade komplizierter aufgebaute Illustrationen bereiten dem*r Betrachter*in beim Betrachten und Nachvollziehen Spaß. Dies ist bei einer Arbeit, die sich vornehmlich an Designer*innen richtet, besonders wichtig. Ästhetik ist zumindest in meiner eigenen Beobachtung ein maßgeblicher Faktor für Designer*innen, der zur Auseinandersetzung mit Inhalten verführen kann.

Der isometrische Stil bringt auch die Assoziation mit sich, dass es sich bei meiner Arbeit um eine Art Bauplan handelt. Diese Schlussfolgerung ist intendiert. Schließlich kann nicht erwartet werden, dass meine Gedanken und Modelle eins zu eins übernommen werden. Die Assoziation einer Anleitung, die erst in der Realität umgesetzt werden muss, ist eine sinnvolle für meine gesamte Masterarbeit.

Ein Beispiel für ein abstrahiertes reales Objekt

Hier wird deutlich, wie ein Gegenstand aus der realen Welt (in diesem Fall unser von mir konzipiertes und gebautes Küchenregal) versinnbildlicht wird. In der isometrischen Abbildung wird er aus dem Kontext seiner Anwendung entlehnt. Er fungiert nur noch als Symbol.

Ein Bespiel für eine realitätsnahe Erfahrung

Hieran ist gut zu erkennen, wie der Illustrationsstil eine Brücke zwischen realen Erfahrungen und den daraus resultierenden Einsichten – welche vermittelt werden sollen – schlagen kann. Die Abstraktion der realen Welt, bei beibehaltener Perspektive, unterstützt die Form der Geschichte – die Anekdote.

Ein Beispiel für eine abstrakte Grafik

Das bedachte Einsetzen von Formen kann helfen Informationen nicht neutral zu präsentieren, sondern diesen eine wertende Komponente mitzugeben. Hier wird zum Beispiel im Vergleich von Genossenschaft und normaler Agentur gleichzeitig ein Hinweis auf die, in der jeweiligen Organisationsform vorherrschende Hierarchie, gegeben.

3.1.1.3 Das Layout

Das Buch Kontemplationen umfasst viele meiner Überlegungen, wie sie noch in einem frühen Stand vorherrschten. Als solches sollte es sich keinesfalls zu wichtig nehmen. Die kleine Größe, sowohl des Texts, wie auch des gesamten Buchs an sich wurde bewusst gewählt, um das zu unterstreichen. Auch sonst ist das Buch vergleichsweise typographisch unspektakulär. Angefangen mit dem Inhaltsverzeichnis bis hin zur Bibliografie ist es handwerklich sauber gesetzt und hält sich an lang etablierte Konventionen ohne gestalterisch experimentell zu werden.

  1. @infratestdimapfurdieweltamsonntag2020 ↩︎
  2. Diese Frage ist in linguistische Kreisen inzwischen weitgehend untersucht. Ich werde nur auf eine Studie von Josef Klein verweisen: @eichhoff-cyrus2004, S.292-307 ↩︎
  3. @stefanowitsch2018, S. 36 ↩︎
  4. @cornelius2017, S. 23 ↩︎

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