3.4.1

Anforderungen

Diskursethik ist ein schwieriges Subjekt, um es in einen praktischen Kontext zu überführen. Genau genommen sind die Projekte, die während meines Masterstudiums entstanden sind, die ersten Designprojekte – bis dato sind mir keine weiteren bekannt – die das versuchen. Gemachte Erfahrungen müssen gelebt und angewandt werden. Deswegen stand ich vor der Herausforderung, meine Überlegungen und Theorien in einen realen Anwendungskontext zu setzen. Doch ein echtes Projekt zu starten benötigt auch echtes Potential.

Deswegen entschloss ich mich aus der Not eine Tugend zu machen und ein Projekt umzusetzen, das ohnehin schon in meinem und den Köpfen meiner Freund*innen schwirrte. Es bot sich an, daraus ein diskursethisches Experiment zu machen. Die Eröffnung einer  Foundry – einer Schriftgießerei – war ohnehin schon geplant und die perfekte Gelegenheit beide Vorhaben zu verbinden. Dies bringt zwei Vorteile mit sich. Einerseits habe ich so die Möglichkeit, viel Zeit und Energie in ein Projekt anstelle von zweien zu stecken. Andererseits kann ich so die Foundry, mit all ihren realen Schwierigkeiten, als Versuchsprojekt heranziehen, um die theoretischen Überlegungen auf den Prüfstand zu stellen. Der größte Vorteil aber ist jedoch der, dass diskursives Design vom Diskurs lebt. Ein praktisches Vorhaben ohne andere Personen war keine realistische Option.

Kritisch anzumerken ist jedoch, dass sich der theoretische Teil um das Thema diskursives Design dreht, der praktische Teil aber nun um diskursive Schriftgestaltung. Schriftgestaltung bildet die Disziplin des Kommunikationsdesign nicht vollständig ab und ergänzt diese an anderer Stelle zusätzlich noch um einige Parameter. Deshalb möchte ich an dieser Stelle über Gemeinsamkeiten und Unterschiede beider Disziplinen sprechen.

3.4.1.1 Praktische Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Design und Schriftgestaltung

Beide Disziplinen verfügen über Designer*innen, die etwas gestalten und Kund*innen, die das Designprodukt benutzen. Beide Disziplinen haben eine entwerferische und eine handwerkliche Qualität, die sich unterschiedlichen ethischen Herausforderungen stellen muss. Handwerkliche Anforderungen lassen sich eher durch berufsethische Fragestellungen beantworten. Welche Sorgsamkeit muss ein*e Designer*in walten lassen? Welche Fahrlässigkeiten müssen vermieden werden? Entwerferische Qualität ist dagegen schwieriger zu beurteilen.

Was die Schriftgestaltung vom Kommunikationsdesign unterscheidet ist, dass Schriftgestalter*innen selbst ein Designprodukt erstellen, welches sie dann an den Markt bringen. Das bringt eine zusätzliche Komponente mit ins Spiel, die das klassische Kommunikationsdesign – welches normalerweise eine reine Dienstleistung ist – nicht hat. Schriftgestalter*innen können also einen direkteren Einfluss auf das zu vermarktende Produkt nehmen. Schriftgestalter*innen haben sowohl das Produkt wie auch die Vermarktung in ihrer Kontrolle.

Besonders interessant in der Schriftgestaltung ist, dass sie gewissermaßen Möglichkeiten zur Kommunikation schafft. Begreift man Schrift als Zeichen, die einen bestimmten Text einen unterschiedlichen Charakter geben können, muss man daraus folgern, dass Schriftgestalter*innen semiotische Optionen entwerfen, die Designer*innen dann den zu kommunizierenden Texten anfügen. So gestalten Schriftgestalter*innen gewissermaßen Optionen wie man etwas ausdrücken kann.

3.4.1.2 Die Mitglieder

Auch wenn die Zusammenstellung unserer Gemeinschaft natürlich sehr dadurch bedingt ist, dass wir uns alle schon gekannt haben, mussten wir dann doch feststellen, dass wir ein sehr diverses Team abgeben, dass sich gut ergänzt. Wir machen ein großer Spektrum von sehr forschen, experimentellen freien Entwürfen auf, bis hin zu ganz klassischen anwendungsbezogenen Schriftfamilien.

Jakob Fangmeier

Ich selbst habe mich seit meinem Bachelor mehr und mehr mit zeitgemäßer Schriftgestaltung beschäftigt, und wie man diese mit den Traditionen und Ursprüngen der Schriftgestaltung verbindet. Ein gutes Beispiel ist meine Schriftfamilie Gut die Techniken, die schon Gutenberg benutzt haben soll, wieder in die aktuelle Schriftgestaltung einfließen lässt.

Aber auch meine anderen Schriften weißen alle auf irgendeine Weise diesen Rückbezug auf. Die Kruckenberg zum Beispiel knüpft an die alten Formen der Unziale an und setzt diese Handschrift in den modernen Kontext einer Semiserifenschrift.

Und auch die gemeine Schriftsippe, bestehend aus Grotesk und Antiqua macht diesen Sprung, indem sie sich auf die Lithografie und die davon inspirierten Bleisatzgrotesken vom Anfang des letzten Jahrhunderts bezieht. Sie inkorporiert auch einige in Deutschland damals noch übliche Sonderformen wie die ch und ck Ligaturen, oder das ß in Form einer Kombination aus langem s und kleinem z.

Alle meine Projekte sind inzwischen größere Projekte geworden, mit mehreren Mastern und einer Vielzahl von Einzelschriften. Eine der Stärken, die ich für automat.studio mitbringe ist deshalb auch das Proofing, der Ausbau und die Fertigstellung von Schriftprojekten.

Luise Thoma

Luise arbeitet am dem anderen Ende des Spektrums mit zahlreichen Entwürfen. Luise experimentiert viel im Zusammenspiel von Grids und Schriftgestaltung. Viele ihrer Entwürfe sind Überlegungen, wie sich strikte Regeln auf ein normalerweise sehr flexibel angewandtes Regelwerk anwenden lassen. Wegen ihrer hohen Vielfalt an Entwürfen, hat sie bisher nur wenige davon weiter ausgebaut. Die wenigsten Schriften verfügen über mehrere Master.

Luise untersuchte in ihrem Bachelor die Verbindung von Architektur und Schriftgestaltung. 20 unterschiedliche Schriftentwürfe bringen die Architektur des Brutalismus in die Typografie.

Luises größte Stärke – neben ihrer Experimentierfreudigkeit – liegt in der Anwendung ihrer Schriften. Die Aufbereitung ihrer Projekte inspiriert und zeigt sinnvolle Einsatzgebiete für ihre Entwürfe. Luise hat außerdem die Fähigkeit extrem schnell Ideen zu visualisieren und auf ihre Funktion zu testen.

Paul Wischnewski

Paul ist der von uns, der der klassischen Typografie am stärksten verbunden ist. Seine bisher alleinige Schriftfamilie Auguste ist eine moderne Interpretation einer venezianischen renaissance Antiqua. Paul ist in seiner Arbeit ein Perfektionist – seine Auguste ist dafür das beste Zeugnis. Mit der Schrift Auguste beschäftigt er sich nun schon seit mehr als fünf Jahren. Seit dem hat die Schrift weitgehende Überarbeitungen erfahren. Die weichen Formen und der sehr distinkte Kursivschnitt, kombiniert mit dem weiten Ausbau machen sie ideal im Einsatz von großen Textprojekten. Pauls kasachische Wurzeln haben ihn dazu verleitet auch ein kyrillisches Alphabet zu gestalten. Paul gelingt es hervorragend, klassische Schriftgestaltung in die heutige Zeit zu übersetzen.

Im Masterstudium beschäftigte Paul sich stark mit der kulturellen Bedeutung von Schriftgestaltung und Typografie. Das ist ein Thema was ihn auch weiterhin in seiner Arbeit stark begleitet.

Tessa-Marie Steinmeyer

Tessa nutzt die Schriftgestaltung bisher als Medium zur Forschung. Sie experimentiert mit Schriften in besonderen Anwendungskontexten. Irmine – ihre erste Schriftfamilie – ist eine Antwort auf die Frage, auf welche Kriterien, bei der Kombination von Schrift und Illustration, geachtet werden sollte.

Ihre zweite Schrift Edith entstand im Kontext ihrer Masterarbeit, die sich mit analogen und digitalen Gestaltungsmethoden auseinandersetzt. Edith orientiert sich an den Formen der Kurrent und zwängt diese in ein dicktengleiches Gerüst.1 Es ist also die wohl erste Monokurrentschrift, auf jeden Fall die erste, von der wir wissen.

Tessa ist außerdem diejenige von uns die die besten Fähigkeiten im Lettering und beim Illustrieren mitbringt.

  1. Wie bei den ersten Schreibmaschinen, haben alle Buchstaben die exakt gleiche Breite. ↩︎

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